Schon am 3. oder 4. Januar 2020 hatten wir genug vom Beethovenjahr, das Thema schien uns damals bereits überstrapaziert. Mit dem Aufkommen von Corona im Februar und März jedoch geriet das Musikerjubiläum ins Hintertreffen. Jetzt zum Jahresende hin widmen selbst wir uns der Sache, nicht etwa weil wir große Neunte-Sinfonie-Gewandhausgänger wären, nein, weil uns Blogger-Kollege Harald (Wortblende) eine Nummer der Leipziger Zeitschrift Kulturwille zuschickte, konkret die Beethoven-Sonderausgabe von 1927.
Gleich auf der ersten Textseite äußert sich Hans Heinrich Stuckenschmidt von der „Weltbühne“ wie folgt: „Am 26. März wird sich die internationale Bourgeoisie, um hundert Jahre verspätet, mit festlich drapiertem Bedauern erinnern, daß Ludwig van Beethoven gestorben ist. … Krethi und Plethi werden sich in die Arme sinken, begeistert von so viel Genie und im Herzen das beseligende Bewußtsein: Jener gehört zu uns. … Daß aber schließlich die bürgerliche Gesellschaft aus diesem unbürgerlichsten Musiker, diesem wirklichen Rebellen einen schlampigen Hausgott gemacht hat, ein leicht dämonisch angehauchtes Schoßhündchen, dessen Konterfei, von elenden Stümpern verewigt, in der guten Stube hängt, das ist zuviel.“
Kurz darauf bezeichnet Frank Howes den Komponisten als „Tondichter der Demokratie“, während Heinrich Wiegand ihm u.a. „aufrührerischen Plebejerstolz“ bescheinigt und schreibt: „Er liebte von ganzer Seele das republikanische Prinzip“. Und das war’s noch lange nicht an Erstaunlichkeiten! Der „Kulturwille“, herausgegeben vom Arbeiter-Bildungsinstitut in der Braustraße 17, enthält z.B. auch eine Buchempfehlung zu Georg Weigands Titel „Die Leipziger Tieflandsbucht“, erschienen im Verlag von Ballin & Töpfer in Leipzig-Leutzsch, „eine großzügige Einführung in das Gebiet zwischen Mulde und Saale, zwischen Altenburg und Bitterfeld, das eine geographische und wirtschaftliche Einheit ist“, wie wir lesen.
Ein Veranstaltungshinweis lässt uns wissen, dass das Arbeiterkammerorchester unter „Stabwalt“ Barnet Licht im Saal des Konservatoriums in der Grassistraße 8 auftritt. Der Stabwalt (erinnert sprachlich an Zusammensetzungen wie Platzwart, Gastwirt oder Landrat) wird Dirigent gewesen sein; an der Alten Messe in Thonberg gibt es einen Barnet-Licht-Platz. Die Beethovenstraße hingegen ist eine der prächtigsten im Musikviertel und führt kurz vor der Harkortstraße sogar über die Beethovenbrücke.
Zuguterletzt wollen wir noch zwei Anzeigen aus dem „Kulturwillen“ zum Thema machen. „Zeitgenosse, lies diese Bücher!“, fordert die Bücherstube in der Karl- (heute Büttner-) / Ecke Schützenstraße da über ihr Schaufenster und zählt als wichtige Autoren neben J. London und B. Traven u.a. auch N. Lenin auf. Wer soll das sein? Lenins Frau Nadjeschda? Das andere Inserat hat die Neue Feuerbestattungskasse vom Neustädter Markt ähnlich auffordernd gestaltet: „Deine nächste Pflicht ist es …“, Mitglied zu werden.
Herzlichen Dank an Harald!