Den 1946 erschienenen Atlas „Leipzig gestern – heute – morgen“ wollten wir uns ja noch einmal gesondert vornehmen, was hiermit geschieht. Er enthält neben detaillierten Karten mit Kennzeichnung des Zerstörungsgrades aller Leipziger Gebäude u.a. auch Schaubilder, die uns an Schulbücher erinnern. Zum Beispiel erfahren wir auf Seite 3 („Leistungen der Volkssolidarität“) von der „Sonderaktion Kohlebeschaffung“, namentlich der „Kulkwitz-Aktion“ und lesen von mindestens einem „Nachteinsatz der LVB-Gasomnibusse“, um insgesamt 125.363 Zentner Braunkohle aus der damaligen Grube bzw. dem Tagebau, welche/r heute der Kulkwitzer See ist, nach Leipzig zu holen.
Eine Übersicht auf Seite 10 zeigt für 1942 50.000 vorhandene Gebäude, 1945 waren davon unbeschädigt 24.000, leicht und mittelschwer beschädigt 14.900, schwer beschädigt 1.400 und vernichtet 9.700 Gebäude. Auf Wohnungen bezogen werden folgende Zahlen genannt: 1942 vorhanden 225.000, 1945 unbeschädigt 101.000, leicht beschädigt 66.000, mittelschwer beschädigt 14.000 und verloren 44.000 Wohnungen. „Ende April 1945 lagen rund 700 000 Kubikmeter Schutt auf (Leipziger) Straßen und Plätzen.“
Typhus, Ruhr und Diphterie wurden nicht nur in Diagrammen bekämpft sowie die Arbeitslosigkeit (Seite 18). „Die nach dem Zusammenbruch drohende Gefahr der Arbeitslosigkeit ist überwunden: Seit Dezember 1945 werden in Leipzig mehr Arbeitskräfte gebraucht als verfügbar sind. Allerdings müssen die arbeitsuchenden Frauen sich auf Berufe umstellen, die früher vorwiegend von Männern ausgeführt worden sind“.
Zuguterletzt äußert sich Oberbürgermeister Dr. Erich Zeigner. „Unsere Stadt Leipzig“, so schreibt er, „verdankt ihre große Entwicklung nicht der Gunst von Fürsten oder landschaftlicher Schönheit. Alles, was sie sich im Laufe der Zeit an Werten geschaffen hat, ist vielmehr das Ergebnis des unverdrossenen Fleißes, der Zähigkeit und Intelligenz ihrer Bevölkerung.“
Und Zeigner spricht ein Problem an, das inzwischen in und um Leipzig nicht mehr besteht, 1946 aber „eine Frage von außerordentlicher Tragweite“ gewesen ist: „Werden wir alle durch die Bombenangriffe zerstörten Wohn- und Geschäftsviertel wieder aufbauen dürfen? Die Stadt liegt ja inmitten eines großen Braunkohlengebietes, wir sitzen sozusagen auf der Kohle. Dieses Kohlenflöz ist von großer Ausdehnung und von beträchtlicher Tiefe … Der Abbau dieses mächtigen Kohlenfeldes rückt vom Süden und vom Südwesten her in schnellem Tempo an die Stadt heran … Nach Erreichen der jetzigen Stadtgrenze ist im Süden kein Siedlungsraum von Belang mehr zur Verfügung.
Der Wiederaufbau unserer Stadt muß darauf Rücksicht nehmen, daß nicht Gebäude errichtet werden, die schon nach 20 oder 30 Jahren im Zusammenhang mit dem Kohleabbau der Vernichtung anheimfallen. Ausweichen können wir städtebaulich nur nach Osten hin, wo ein verhältnismäßig schmaler Korridor zwischen den Abbaugebieten sich eröffnet. Dort werden unsere neuen Wohnviertel entstehen, unsere neuen Industrieanlagen. Und wir werden versuchen müssen, für den Buchhandel und das graphische Gewerbe, für die Rauchwarenbranche und für die Messe, für unsere Universität und für eine neue chemische Industrie, die sich auf der Kohle aufbaut, zusammenhängende Viertel mit guten Verkehrsmöglichkeiten zu schaffen.“
Dort, wo die Kohle bzw. die Tagebaue bis zur Wende Land fraßen, erstrecken sich heute die neuen Seen, der Cospudener, Markkleeberger, Störmthaler und Zwenkauer im Süden sowie die Schladitzer Bucht im Norden. Neue Wohngebiete entstanden u.a. in Lindenau, Zschocher, Lößnig, Mockau, Schönefeld, Grünau und Paunsdorf, also nicht nur im Osten. Nach 1990 kamen unzählige Einfamilien- und Reihenhäuser sowie Dutzende Gewerbegebiete hinzu. Aber wer sollte das 1946 schon ahnen?
siehe auch unseren Beitrag „Aus Holgers Schatztruhe II“ (April 2017)