Historie

Verlassene Bahnhöfe I

Verlassene Bahnhöfe 1

Bahnhöfe sind Orte, an denen Menschen sich begegnen. Sie kommen an, sie fahren ab, sie holen sich ab, sie bringen sich zum Zug, sie winken. Sie sitzen in der Bahnhofswirtschaft oder auf einer Bank am Bahnsteig. Sie kaufen sich eine Fahrkarte bei der Bahnbeschäftigten am Schalter oder eine Zeitung und eine Tüte Gummitiere am Kiosk. Manche sind auch einfach nur da, um nicht allein zu sein, um nicht im Regen zu stehen oder um die Toilette zu nutzen.

An Haltepunkten gibt es Fahrpläne und Fahrkartenautomaten und im günstigen Fall überdachte Sitzgelegenheiten. Ansonsten nichts. Positiv gesagt bieten sie frische Luft. Im Leipziger Stadtgebiet finden sich einige verlassene Bahnhöfe, zugeschlossen, zugenagelt. In Leutzsch und Wahren wurden in ihrer Nähe neue Haltepunkte errichtet. Feste Arbeitsplätze gibt es an denen nicht, Möglichkeiten, jemanden etwas zu fragen oder um Hilfe zu bitten auch nicht.

Am Leutzscher Bahnhof ist eine Gedenkplatte angebracht. Ihre Inschrift lautet:

Zur Erinnerung an die Januarkämpfe 1919

Rote Matrosen, Soldaten und bewaffnete Arbeiter verhinderten auf dem Gelände des Leutzscher Bahnhofes die Weiterfahrt von Nosketruppen nach  Berlin und Oberost Baltikum und entwaffneten sie. Dabei fielen am 9. Januar 1919 im Kampf gegen das 77. Infanterie-Regiment die roten Matrosen Bock und Kerk, die Soldaten Kern und Riedrich als Verteidiger der deutschen Revolution.

Zum Bahnhof Leipzig-Leutzsch vermerkt der „Tourist Stadtführer-Atlas Leipzig“ von 1981: „Abfahrt von Zügen in den Richtungen Pegau-Zeitz, Merseburg, Weißenfels.“ Erwähnt sind außerdem der Bahnhof Leipzig-Plagwitz, der Bayrische Bahnhof („Es steht eine Mitropa-Bahnhofsgaststätte zur Verfügung.“) und der Hauptbahnhof.

Der Bahnhof Stötteritz präsentiert sich im Februar 2012 ebenfalls in einem traurigen Zustand. Das Gebäude ist vernagelt wie die anderen, an den Bahnsteigen wird abgerissen und planiert – immerhin erinnert die hölzerne Überdachung noch an gemütlichere Zeiten.

Ergänzung I: Am 29. Februar 2012 schrieb die Leipziger Volkszeitung: „So wird etwa an der Haltestelle Leipzig-Stötteritz die komplette Gleisanlage leicht nach Westen verlagert, drei Bahnsteigkanten werden neu gebaut. Teile der alten Gleise wurden bereits abgebaut, derzeit bereiten Arbeiter das neue Gleisbett vor. Aktuell wird der Abriss des alten Stellwerkes vorbereitet. Auch die Eisenbahnüberführung an der Papiermühlstraße wird bei der Gelegenheit vollständig erneuert. In die 27 Meter lange Brücke wird neben den Treppen zusätzlich auch ein neuer Fahrstuhl integriert. Auf dem Gleis entsteht ein Wetterschutzhäuschen für die Reisenden.“ („Fit für den City-Tunnel“, Seite 17)

Ergänzung II: Am 1. Juli 2012 fanden wir auf immonet.de (Sachsen, Leipzig, Haus kaufen) zwei Angebote, den Bahnhof Leutzsch betreffend. „Ihr eigener Bahnhof für Projektentwickler und Visionäre“, Kaufpreis 36.500 Euro. Und das zugehörige Mehrfamilienhaus links daneben kostet 26.600 Euro. Mal gucken, ob da jemand zugreift …

Ergänzung III: Der Bahnhof Wahren wird auf www.poschmann-immobilien.com als unter Denkmalschutz stehende „Spezialimmobilie“ zum Kauf angeboten. Preisvorstellung: 58.600 Euro (gesehen am 23. April 2013; zwei Monate später waren es nur noch 49.000 Euro).

Ergänzung IV: Auf einer im Internet zu findenden Postkarte von 1909 ist zu sehen, dass das Wahrener Bahnhofsgebäude an seiner rechten Seite (von der Straße aus betrachtet) über einen Turm mit Fachwerkgeschoss und Spitzdach verfügte. Der Stumpf steht noch und wird – im Sommer 2014 – scheinbar wieder aufgebaut. Im Buch „Möckern & Wahren – Zwei Leipziger Ortsteile auf alten Ansichtskarten“ (Pro Leipzig, 2012) ist der 1904 oder 1907 eingeweihte Bau ebenfalls mit Turm abgebildet.

Ergänzung V: Im Januar 2017 fiel uns auf, dass sich die oben erwähnte Gedenkplatte nicht mehr an der Außenwand des Bahnhofs Leutzsch befindet.

Ergänzung VI: „Wo ist die Erinnerungstafel?“, fragt die LVZ am 23.02.2018 bzw. wurde sie von einem Leser gefragt und fand daraufhin bei Susanne Kucharski-Huniat vom Kulturamt heraus, dass das Stück vor einem Jahr „gesichert und eingelagert“ wurde, „weil sich der Zustand des (Leutzscher) Bahnhofes immer mehr verschlechterte“. Bis Januar 2019 werde die Tafel nun restauriert und dann „an einem neuen Standort, der noch gefunden werden muss, wieder angebracht“.

siehe u.a. auch unsere Beiträge „Im Bahnhof Leutzsch“ (Mai 2013), „Verlassene Bahnhöfe IX“ (März 2014) und „Bahnhöfe unter Denkmalschutz“ (Dezember 2014)