Teil 2: Café Pilz, Zill‘s Tunnel und Co.
(F.H.*) In den Nachwendejahren stand Stammtischpflege nicht gerade im Mittelpunkt. Eher die Sorge um den Job, ums neue schöne teure Geld, um endlich antretbare echte Weltanschauung. Aber es hielt die LLT (Leipziger Litertafel) zusammen, mit starken Fluktuationen freilich – und dem Problem, ein anständiges Restaurant zu bekommen, dem eine gewisse Umsatzgarantie an den monatlichen Freitagen zuzusichern war. Selten stimmten Preis und Leistung, Bierqualität und Speisengüte, Störungsfreiheit des Kneipenraumes. In jenen Jahren wechselten wir fast monatlich die Restauration, zwischen Stötteritz, Schönefeld, Thekla und Volkmarsdorf, Probstheida und Schleußig. Länger waren wir hingegen im Café Pilz und in Zill’s Tunnel zu Gast.
Dies alles setzte ein ausgefeiltes Benachrichtigungssystem und routinierte Verhandlungen unseres Sekretarius mit den jeweiligen Wirtsleuten voraus, die auch ungern abgetrennte Räumlichkeiten für unsere Gesänge und Spielchen einräumen wollten. Zu den monatlichen Kneipabenden kamen zu bereits erwähnten gemeinsamen Unternehmungen noch mehrtägige Radwanderungen, Sportwochenenden, gemeinsame Silvesterfeiern, großzügig angelegte Jubiläen bei runden Geburtstagen, die sämtlich weit über das übliche Tun am Stammtisch hinaus gingen und so richtigen Kitt, fester gar als gewöhnliche Verwandtschaft, bildeten.
Die LLT geriet in eine schwere Sinnkrise, nicht bezüglich der viele Gemeinschaftsunternehmungen, sondern an den eigentlichen Kneipabenden. Dies kulminierte im Frühjahr 2001. Es stiegen überhaupt keine „Beiträge“ mehr, der Besuch war oft kläglich. Nicht die Freundschaften an sich bröckelten, sondern der Stammtisch hinsichtlich aller der eingangs erwähnten drei Kriterien. In der Diskussion wie auch in der Praxis hingegen waren Gartenparties, Ausflüge, Theaterbesuche, Jubiläumsfeiern, Tanzkurse bei Seiferts usw. wie bislang, aber ohne das eigentliche Kneipen mit Bier, Essen und dem Paragrafen 11 („Es wird fortgesoffen!“ aus dem Deutschen Bierkomment). Familienfreundlicher sollte es werden. Kurz, der eigentliche Stammtisch mit vorzubereitenden Thematiken und Referaten schien nicht mehr zum Alter und den Wünschen zu passen.
Dass sich rund 20 nichtverwandte Leute enger und freundschaftlicher zusammenfinden als etwa in spezialisierten Hobbyvereinen und mit nichtmonetären Absichten, war schon ein seltener Wert an sich, in einer Gesellschaft zudem, die die aus der Not geborenen Solidar- und Interessengemeinschaften der untergegangenen DDR kaum noch pflegen musste. Doch – der Stammtisch sollte sich wieder erholen, dies war der Wunsch aller.
– wird fortgesetzt –
* F.H. = Dr. Frank Hille, von ihm stammen der Stammtisch-Text und die Grafiken aus der Chronik