Holly sei Dank haben wir das komplette Sächsische Tageblatt* vom 12. April 1970, einem Sonntag! Komplett bedeutet in diesem Falle acht Seiten. Und diese acht Seiten verfügen über immerhin drei Zusatzfarben: blau, rot und grün. Das war unserer Erinnerung nach in den 1980er Jahren nicht mehr üblich, da wurden die hiesigen Tageszeitungen ausschließlich schwarz auf weiß gedruckt.
Was lesen wir im fast 50 Jahre alten Tageblatt, dessen Redaktion am Neumarkt 6 saß? Unter anderem, dass die Kohleversorgung trotz anhaltender Niederschläge von Regen und Schnee stabilisiert werden konnte, dass am Tag zuvor der Tag des Internationalen Subbotniks gewesen ist sowie die Fußballergebnisse. Und im Volleyball hatte sich der SC Leipzig gerade seinen 10. DDR-Meistertitel geholt.
Auf der letzten Seite wird Taxifahrerin Erika Nowotnick vorgestellt. Die 30jährige fährt „furchtbar gern Auto“ und attestiert der Mehrzahl ihrer männlichen Fahrgäste gutes Benehmen. Kleinere Reparaturen am Wolga übernimmt sie selbst – „Kabelbrüche, Kerzenwechsel, Defekte an der Lichtanlage“. Nur leider verträgt ihr zwölfjähriger Sohn das Autofahren nicht: „Ihm wird’s schlecht dabei.“
In der Rubrik „Wohin gehen wir?“ tauchen heute noch bekannte Häuser auf, Oper, Muko, Schauspielhaus, das Theater der Jungen Welt und die Pfeffermühle. Am Zoo, so erfahren wir, wurde die Ampel über die Dr.-Kurt-Fischer-Straße (Pfaffendorfer) wieder in Betrieb genommen – mit einem veränderten Programm, „90 Sekunden für Straßenbahnen und Kraftfahrzeuge, 10 Sekunden für den Fußgänger“.
Im Gerichtsbericht bekommt Harry S., ein „notorischer Bummelant“, 26 Jahre alt und beschäftigungslos, die Ohren langgezogen und „Arbeitserziehung“ aufgebrummt. Und Interflug teilt mit, dass der Sommerflugplan geändert und die Abflugzeit der Linie IF 141 Leipzig-Barth von 5.30 Uhr auf 5.10 Uhr vorverlegt wurde.
Lenin ist mindestens zweimal im Blatt, aber auch das Centrum-Warenhaus** in der Petersstraße, letzteres mit Anzeigen zu Sonnabend-Öffnungszeiten und der Urlaubsvorbereitung. Der Konsum-Herrenausstatter preist 3.000 Hemden an und das Kaufhaus Magnet***, ebenfalls in der Petersstraße (im Grönländer), weckt die frühjährliche Lust auf das Wühlen in der eigenen Scholle. Mit Gartenhacken, Rechen, Grubber …
Das Interhotel Deutschland**** wiederum lädt zum Spanferkelessen mit Bier vom Fass und Hasso Veit an der Hammondorgel ein (der Mann spielte in den 1980ern im Capitol). Und die Kleinmesse***** bezeichnet sich selbst als Vergnügungspark, Verkaufs- und Freizeitzentrum. In Teil V folgt eine LVZ von 1968.
* siehe unseren Beitrag „Leipziger Tageszeitungen“ (August 2017)
** siehe unseren Beitrag „Was wird aus Karstadt?“ (November 2018)
*** siehe unsere Beiträge „Der Grönländer“ (Teil 1 und 2, September 2019)
**** siehe unseren Beitrag „Wie die Hotels früher hießen“ (Dezember 2012)
***** siehe unseren Beitrag „Auf der Kleinmesse“ (Oktober 2012)