Fotomotive Schöne Plätze

Zwölf alte Leipziger Lokale

Zwölf alte Leipziger Lokale

(F.H.) Manch Leipzig-Fan kennt das Büchlein „Alt-Leipziger Gaststätten auf Postkarten“, erschienen 1989 im Seemann-Verlag. Aber zu den meisten der prächtigen Lithographien aus der Zeit um 1900 existieren die zugehörigen Lokale gar nicht mehr. Für diesen speziellen „Geheimtipp“ wurden zwölf existierende ausgewählt und werden nach und nach mit aktuellen Fotos versehen (zunächst haben wir uns im eigenen Archiv bedient). Das ist zugleich eine kleine Reise durch die Leipziger Gastronomie mit ihren zahlreichen Veränderungen.

Auerbachs Keller. Leipzigs weltberühmte Gaststätte dank Goethes Faust. Sie hat ihren Namen seit 1530 von Dr. Heinrich Stromer, der aus dem oberpfälzischen Auerbach stammte, Mediziner, Universitätsrektor, aber auch Gastwirt war. Chroniken von 1525 – wo der Fassritt stattgefunden haben soll – wissen natürlich nichts von einem solchen. Es war ein Marketinggag von 1625, der auf zwei noch erhaltenen Gemälden das „Spektakel“ festhielt, bei der Wiedereröffnung des Weinkellers zum  „100-jährigem Jubiläum“. Heute stehen vor dem Eingang zur Kellergaststätte, eröffnet 1913, zwei bronzene Figurengruppen von Molitor, links Faust plus Mephisto, rechts verwirrte Studenten, deren einer in der Kellerszene „Mein Leipzig lob ich mir …“ faselte, bereits betrunken. Manche Gästeführer nehmen das immer noch für ein Goethe-Lob Leipzigs und versuchen das ihren Zuhörern zu suggerieren, das stehe ja im „Faust“.

Burgkeller. Ab dem 16. Jh. in den ehemaligen Fleischbänken angesiedelt und mit dem Privileg, auswärtige Biere ausschänken zu dürfen. Die mehrfach umgebauten Fleischbänke wichen 1909 (also zehn Jahre nach dem Absenden der im Buch enthaltenen Karte) dem Messehaus Handelshof, das in Keller und Erdgeschoss Restaurationsräume erhielt. Nach Kriegszerstörungen konnte der Burgkeller 1947 wieder öffnen, Spezialität in den 1960ern war Roastbeef rosa mit Remoulade und Bratkartoffeln. Vor dem Ende der DDR öffnete im Burgkeller noch das rumänische Nationalitätenrestaurant Doina. Nach der Wende wurde das Objekt hin- und hergeschoben, längere Zeit von Mövenpick unterhalten, mit vorzüglichem Vormittagsbrunch und wunderbarem Kaffee. Nach Sanierungen von 2007 bis 2011 sitzt nunmehr „unten“ die Restaurantkette Alex ein bisschen drinnen und draußen. Den alten Schriftzug „Burg-Keller“ an der Naschmarktfassade behält man wohlweislich bei.

Café Röthel / Indian City Grillhaus. Das Bemerkenswerteste an diesem Lokal ist die fast unveränderte Ansicht des Restaurants von 1910 zu 2024. Das Gebäude lag und liegt am Eutritzscher Markt, wo einstens sich berühmte Gosenschenken befanden und schon gegen Ende des 18. Jh. Ausflugsziele Leipziger Schluckspechte waren. Im Café Röthel frönte man hingegen eher Kaffee und Kuchen, sowohl im Erdgeschoss wie auch in der ersten Etage. Im Gegensatz zu den Gosenschenken in der Nachbarschaft überlebte das Gebäude den Krieg und war in der DDR auch als Café am Eutritzscher Markt präsent, um dann nach der Wende manch Veränderung durchzumachen. Seit Jahren hat es nun schon ein „Inder“ in Regie. Kaffee und Kuchen bekommt man gegenüber bei Krüger.

Concert-Etablissement Pologne / Hotel de Pologne. In der Hainstraße wurde 1847/48 nach Vorgängerbauten das seinerzeit größte Hotel Leipzigs mit 130 Zimmern errichtet, dessen Name geht auf einen polnischen König zurück, der 1706 mal in Leipzig weilte. 1891/92 baute Rossbach das Haus gründlich um und verpasste ihm eine italienische Neorenaissancefassade. Das Obergeschoss erhielt zwei neobarocke Festsäle für 1.500 Gäste, offenbar vermietet an das „Concert-Etablissement“. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es österreichisches Messehaus, 1943 Soldatenheim, hieß 1945 Casino usw.. Gegen 1950 bis 1993 war es das Leipziger Messeamt; einer der prächtigen Festsäle fungierte als Kantine. Nach 15 Jahren Leerstand wurde das Gebäude von 2011 bis 2014 denkmalgerecht saniert. Die Räumlichkeiten werden an verschiedene Unternehmen vermietet, die Säle für Kongresse genutzt, als Salles de Pologne.

Drei Linden / Musikalische Komödie. Der Gasthof „Drei Linden“ geht bis aufs Jahr 1495 zurück und war Lindenaus ältestes Wirtshaus. Auf der Karte von 1901 erkennt man nicht nur einen Biergarten, sondern auch ein Sommertheater, wiewohl damals niemand ahnen konnte, dass das „Drei Linden“ mal zur höchst beliebten Spielstätte für Operetten und Musicals in Leipzig werden würde. Der alte Gasthof auf der Karte dürfte zum Zeitpunkt der Absendung wohl schon gar nicht mehr existiert haben, da er einem vierstöckigem Häuserblock weichen musste. 1912 kam in den Hof des Ensembles im Auftrag der Naumann-Brauerei ein Saalbau mit 3.000 Plätzen und kleiner Bühne, ab 1913 auch als Varieté genutzt. Da nach dem Zweiten Weltkrieg alle Leipziger Theater zerstört waren, besann man sich auf den noch intakten Bau in Lindenau und ließ dort die Oper bis 1960 spielen – nach kleinen „Ertüchtigungsmaßnahmen“. Die letzte war vorerst 2021 abgeschlossen, und die Musikalische Komödie mit kleinem Theaterrestaurant und Bar ist wieder der Liebling auch auswärtiger älterer Semester.

Eiskeller Connewitz / Conne Island. Eiskeller gab es nahezu in jeder Stadt, wo man Brauereien hatte. In Eiskellern stapelte man aus Flüssen winters geborgene Eisblöcke, die dringend zur Biererzeugung benötigt wurden – zumindest bis zur Erfindung von Kältemaschinen und Kunsteis etwa um 1890. Zu den dann funktionslos gewordenen Eiskellern gehörten jedoch oft Biergärten und Restaurants. 3.000 Leute fanden im Connewitzer Eiskellerpark Platz, 1.000 im Saal. Nach Leerstand ab 1930 nistete sich die HJ ein, in der DDR war es der Jugendclub „Erich Zeigner“. Seit 1991 besetzten junge Leute das heruntergekommene Areal und schafften es, der Stadt Selbstverwaltung abzutrotzen. Conne Island (in Anklang an Coney Island, New York) ist Szenetreff in Connewitz. Manchmal gibt es Fördermittel seitens der Stadt, manchmal Verfassungsschutzbeobachtung, ansonsten Grafitti, Kinderspielplätze und Übungsbahnen für Skater.

Gasthof Probstheida / Zum Kaiser Napoleon. Das Wirtshaus in Probstheida, Ecke Prager- und Russenstraße, verdient wirklich die Bezeichnung „historisch“, da es mit geschichtlichen Ereignissen verbunden ist. In der Völkerschlacht, wo auch Probstheida und sein Gasthof schwer umkämpft waren, trafen sich in der Nähe des bereits zerschossenen Etablissements Napoleon und sein Schwiegersohn, der General Murat, zu Lagebesprechungen. Die alte Ansicht, datiert 1902, zeigt links oben das heute restaurierte Gebäude sowie schon die Straßenbahn in der damaligen Preußenstraße. Offiziell heißt das heutige Restaurant „Brauhaus Napoleon“ und ist zumindest in den Oktobertagen jeden Jahres Ziel von historisch Interessierten, teilweise gar stilecht Uniformierten. Die Küche ist nicht übel – und es hat einige Parkplätze. Die gut frequentierte Restauration verfügt über mehrere Räume, Freisitze, auch gibt es hausgemachtes Bier – daher Brauhaus.

Cajeris Gosen-Stube „Ohne Bedenken“. Gosenschenken gab es viele in Leipzig, die vom Wirt Cajeri war eine der bekanntesten und wurde 1888 eröffnet. Neben Gose war die ganzjährige Speisenspezialität Kalbsbraten mit Spargel Lockmittel, für die zur Spargelzeit kiloweise Spargel eingekocht wurde, so ab etwa 1920. In der DDR wurde der letzte Leipziger Gosenausschank 1966 (im Hotel Fröhlich) eingestellt – aber oh Wunder, das „Ohne Bedenken“ erlebte 1986 dank des rührigen Lothar Goldhahn die Wiedereröffnung am alten Platz; 1990 übernahm der nicht minder rührige Hartmut Hennebach als Pächter und später auch als Eigentümer. Mittlerweile ist Loreen Heinrich die Gosenwirtin. „Ohne Bedenken“ (die Antwort eines Kellners auf die ängstliche Frage, ob man Gose überhaupt trinken könne), ist wieder  d i e  Gosenstube, braut auch selber, unterhält mehrere Gasträume und einen großen Biergarten. Man hat es unter die deutschen Spitzenkneipen geschafft!

Panorama / Bowlingcenter. Der eigenwillige Rundbau des Panorama von ca. 1890 befand sich am Roßplatz und wurde wie das ganze umliegende Areal im Krieg gründlich zerstört. Es war das Panorama vor allem eine Galerie von großen Schlachtengemälden, insbesondere zum 1870/71er Krieg, desgleichen zeigte man Dioramen und schauerlich-schönen Figuren aus Papp-Maché. 1927 wurde der Krempel entfernt – nun war das Panorama nur noch gutbürgerliche Gaststätte, mit Café, Konditorei und Billardsaal. (Mit dem heutigen „Panorama“ auf dem ehemaligen Uni-Riesen hat es selbstverständlich nichts zu tun). Merkwürdigerweise steht ungefähr am alten Platz des „Panorama“ wieder ein äußerlich ähnliches Gebäude, das Bowlingcenter von 1987, das bis 1997 in Betrieb gewesen war, ein gelungenes Beispiel für DDR-Postmoderne. Seit seiner Schließung dümpelt das Gebäude leer vor sich hin. Mal sehen, ob sich etwas tut in Richtung neues Naturkundemuseum.

Restaurant Petersburg – Café am Peterssteinweg. Die „Petersburg“ hatte nichts mit der russischen Großstadt zu tun, sondern mit dem Peterssteinweg in Leipzig. Steinwege gibt es in vielen Städten – sie bezeichneten im Mittelalter schlicht die seltenen gepflasterten Straßen, meist ab den Stadttoren ein Stück hinaus: Grimmaischer Steinweg, Rannischer Steinweg, Peterssteinweg. Man ersieht aus der Postkarte, dass die Restauration an der Ecke Zeitzer Straße / Albertstraße (heute Karl-Liebknecht-Straße / Riemannstraße) stand, in der Nr. 4. Zu DDR-Zeiten war die Petersburg das beliebte „Café am Petersteinweg“, wiewohl der erst ein wenig weiter stadteinwärts beginnt. Das gesamte Haus wich einem Neubauensemble mit diversen Läden, darunter der Bäckerei „Magic Waffle“, wo es auch Kaffee gibt. Als „Cafe Peterssteinweg“ fungiert heute eine Studentenmensa gut 500 Meter stadteinwärts …

Zill’s Tunnel. Eine der wenigen Gaststätten, die die Zeiten zumindest äußerlich nahezu unverändert überdauert haben. „Historisch“ nennt sie sich wegen ihres Alters, von 1785 stammt die erste Erwähnung. Den Namen „Zill“ gab ein Wirt 1841 her, der „Tunnel“ bezog sich auf die gewölbten Decken. Das heutige Gebäude stammt von 1888 und gehörte zur Naumann-Brauerei. 1969 wurde es ein bisschen restauriert, auf beiden Etagen und kleineren Nebenräumen. Die nächste Restaurierung geschah ab 1999, nunmehr längst keine HO-Gaststätte mehr, aber immer noch nicht „historisch“ – denn welches wichtige geschichtliche Ereignis soll sich mit jenem Wirtshaus verbunden haben? Man setzt in „Zill’s Tunnel“ auf gutbürgerliche und sächsische Küche und hat die Speisenkarten teilweise „zweisprachig“ (hochdeutsch und angebliches Sächsisch) abgefasst, etwa „Suppen – Subbn un Brien“ …

Thüringer Hof. Sein Vorgänger war eine „Studentenburse“ – 1454. Ab 1838 kam dann der heutige Name, sehr bekannt in der Kaiserzeit: Vormittags, wenn farbentragende Studenten wie auch „Finken“ sich zum Frühschoppen in den verschiedensten Gastzimmern trafen, wenn mittags „Mutter“ Grimpe an Bedürftige Essen ausgab, abends, wenn sich das betuchte Bürgertum nach Konzert oder Theater zu Würzburger Bürgerbräu oder Lichtenhainer Weißbier traf. Im Krieg schwer zerstört, aber halbwegs das Erdgeschoss mit einigen Gasträumen gerettet, wurde von 1993 bis 1996 das Gebäude völlig neu aufgeführt, unter Verwendung weniger geborgener Schmuckelemente, nunmehr fünfstöckig mit dem Restaurant wie gehabt im Erdgeschoss. Eigner ist eine Münchener Gesellschaft, und die erneut engagierte Würzburger Brauerei wurde inzwischen von der aus Wernesgrün ersetzt, wiewohl weder die eine noch die andere in Thüringen beheimatet sind.

Wir danken Frank Hille (F.H.) herzlich für diesen gewitzten Beitrag und empfehlen das zugrundeliegende Buch allen Interessierten sehr. Vorsichtshalber nutzen wir die schönen alten Abbildungen daraus nicht, das Buch müsste antiquarisch ohne ausufernde Kosten zu haben sein. Bei uns steht es auch im Regal.