Dass die Alte Messe 100 wird, ist eine verkürzte Wahrheit, denn die Leipziger Messe an sich ist um ein Vielfaches älter und das Gelände, um das es sich dreht, kein Messegelände mehr. Dennoch: Vor 100 Jahren ging das mittlerweile ehemalige Areal der Technischen Messe in Betrieb. Als Alte Messe an der Prager (einst Reitzenhainer) Straße ist es heute allen ein Begriff. Zwischen Deutscher Bücherei und Völkerschlachtdenkmal haben sich neben einem Doppel-M (für Muster-Messe) einige Hallen und Pavillons erhalten, manches wird gar noch genutzt.
So seit zehn Jahren die Halle 11 vom Supermarkt Hit, der dadurch ein optisch sehr interessanter ist. Die 16 – mit der Kuppel – ist mal Volks- und mal Eventpalast (eine Zeit lang hieß sie gar Pantheon), auf jeden Fall eine baulich beeindruckende Disko; im Sommer gibt es zusätzlich und unabhängig davon den Tanzstrand La Playa (hinter Hit).
An der Messehalle 7 steht seit einiger Zeit Soccer World geschrieben. Hier fanden bis zur Einweihung der Arena Konzerte und Sportereignisse statt. In den für den Porta-Neubau verschwundenen Hallen 1 bis 3 lief in den 1980er Jahren die Pop-Messe, ein Musik-Festival mit kleinen und großen DDR-Bands und einem Headliner aus dem westlichen Ausland. Einmal nannte sich dieser Supercharge – keiner kannte die Truppe. (Die gibt’s sogar noch!)
Im vormals Sowjetischen Pavillon, neben dem heute die Buchstaben UdSSR liegen, sahen wir letztes Jahr den wichtigen Dokumentarfilm “Geschichten hinter vergessenen Mauern – Lost Place Storys aus Leipzig” (siehe unseren Beitrag „Ein Film und fünf Buchstaben“ vom März 2012). In der Jugend interessierte uns diese Halle allerdings herzlich wenig. Damals gab es die Frühjahrs- und Herbstmessen* – und jedes Mal Sonderbriefmarken dazu.
Wir warteten sehnsüchtig, bis wir 14 Jahre alt waren und die Messe besuchen durften, zogen dann ganz erwachsen unsere Jugendweihe-Jacketts an und fragten an den westlichen Ständen nach Kugelschreibern, Aufklebern und Prospekten. Auch das Messe-Magazin, eigentlich eine reine Werbebroschüre, war beliebt – zu der Zeit gerade wegen der Werbung.
Die in den 1980ern ebenfalls schon existierenden Leipziger Blätter haben Anfang Mai ein lesens- und aufhebenswertes Sonderheft zu 100 Jahren Alter Messe herausgebracht. Das als solches nicht mehr existierende Ratsverkehrsamt unserer Stadt veröffentlichte ähnliches bereits 1928 – zum Beispiel, aber sicher auch in anderen Jahren. Wir zitieren aus der 85 Jahre alten Broschüre „Leipzig in Wort und Bild“ Erstaunliches:
„… Eigenschaften, die sie zur einzigen Weltmesse machen: ihre Internationalität und ihre Universalität. Keine Messe der Welt kann heute von sich sagen, daß ihre Ausstellerschaft sich aus den Industrien in 22 Ländern zusammensetzt und die sie besuchende Einkäuferschaft etwa 78 Nationen vertritt. … Einkäufer kamen zur letzten Frühjahrsmesse etwa 185 000 nach Leipzig, darunter etwa 16 Prozent, d.h. annähernd 30 000, aus dem Ausland.
Um derartige Besuchermassen reibungslos nach Leipzig zu bringen, wird von der Reichsbahn vor jeder Leipziger Messe ein besonderer Fahrplan aufgestellt. … In der Regel werden über 400 Sonderzüge eingelegt … Selbst die großen Schiffahrtslinien sehen sich veranlaßt, bei der Festlegung der Termine für die Abfahrt ihrer Dampfer aus Übersee nach Europa auf die Leipziger Messe Rücksicht zu nehmen. Wiederholt wurden sogar besondere Messedampfer eingeschoben.“ Messedampfer – unglaublich!
* „1991 findet die letzte Universalmesse statt – die neugegründete Leipziger Messe GmbH setzt auf Fachmessen, die ab 1996 auf dem neuen Gelände im Norden Leipzigs stattfinden“, schreibt die LVZ am 22.04.2015. Wir meinen: Die Universalmesse und die Messehäuser in der Innenstadt waren Alleinstellungsmerkmale, Fachmessen und außerhalb gelegene Messegelände gab und gibt es überall.
Nachtrag am 28.02.2017: „Kollision mit Straßenbahn: Müllauto kracht in Doppel-M“, lautet die heutige Schlagzeile auf dem Lokalteil der Leipziger Volkszeitung. Das letzte verbliebene Messewahrzeichen in der Prager Straße ist seit gestern beschädigt, aber in seiner Standsicherheit nicht gefährdet. Die LVZ schreibt, dass es bis 2001 ein weiteres Doppel-M in der Richard-Lehmann-Straße gegeben hat, welches dem dann neuerbauten BMW-Autohaus weichen musste. Ein drittes am Westeingang zur Alten Messe in der Straße des 18. Oktobers verschwand bereits 1981 zugunsten des Gebäudes 7.11 (siehe unseren Plan aus den 1980ern). Aufgestellt worden waren die drei Riesen im Jubiläumsjahr 1965.
Nachtrag im Juli 2024: Erst brachten wir das grafisch gelungene Doppel-M als Doppel-Messebesucher auf Facebook, dann schrieb Tilo: „… von Margarete und Walter Schultze – 1957, glaube ich.“ Danke, Tilo!