Leipzig sei keine Buchstadt mehr, meint der Verleger und Schriftsteller Tino Hemmann, der nichtsdestotrotz frohgemut seinen Teil leistet. Wir sprachen über die Leipziger Buchmesse, Leipziger Buchhäuser und einen „vertrocknenden Ast“, auf welchem auch Tinos großer Kleinverlag hockt.
Seit wie vielen Jahren führst Du den Engelsdorfer Verlag und wie viele Titel sind seitdem erschienen?
Den Engelsdorfer Verlag in seiner heutigen Rechtsform gibt es erst seit dem 1. Mai 2004. Zuvor war es einige Jahre lang eine Engelsdorfer Verlagsgesellschaft, die in erster Linie den Engelsdorfer Gemeindeboten herausbrachte und vermarktete. Unser Verlag hat bislang rund 3.200 Titel für Autorinnen und Autoren aus 27 Nationen veröffentlicht, von denen im Moment etwa 2.000 Titel lieferbar sind. Das klingt recht viel, und es sind natürlich auch sehr viele Titel, jedoch arbeiten wir bei vielen Büchern mit Jung- und Neuautoren oder mit Randsparten im unteren Auflagenbereich. Außerdem haben wir einige Autoren, die bereits mehrere Bücher bei uns veröffentlicht haben. Trotz allem zähle ich uns zu den Kleinverlagen mit eigener Druckerei. Mit Medienkartellen wie Bertelsmann muss ich nicht zwingend verglichen werden. Wir haben weder deren Mittel noch deren Ambitionen.
2.000 lieferbare Titel! Damit dürfte Dein Verlag zu den größten in Leipzig gehören …
Angesichts dessen, was Leipzig in Sachen Buch zu bieten hatte, ist das eher beschämend. Oder?
Leider ja. – Du schreibst selbst. Hat das zur Folge, dass Du die von Dir verlegten Autoren besonders gut verstehst?
Selbstverständlich gibt es auch jene Autoren, die ich wohl nie verstehen werde … Bei den meisten aber erlebe ich die Emotionen oft hautnah mit. Sie erleben keine anderen Höhen und Tiefen als ich. Zudem sind etliche Freundschaften zwischen meinen Autoren und mir als Verleger gewachsen. Wir tauschen Erfahrungen aus und geben uns gegenseitig gutgemeinte Tipps. Es sind eben zwischenmenschliche Beziehungen, bei denen das Buch eine große, jedoch oft nicht die größte Rolle spielt. Ich trage selten einen Anzug, das musste ich viele Jahre im Außendienst tun. Ich versuche als Verleger für meine Autoren da zu sein – soweit es Zeit und Kraft zulassen.
Wofür warst Du im Außendienst unterwegs?
Nach der Wende musste ich von der Volksbildung in die sogenannte freie Marktwirtschaft wechseln. Dort fand ich mich als Außendienstverkäufer in einem amerikanischen Konzern wieder und versuchte Kunden für Kopier- und später Digitaldruckdienstleistungen zu finden. Zehn Jahre später zog sich der Konzern europaweit aus dem Geschäft zurück. Über Umwege kam ich zu meiner ersten Digitaldruckerei. Spätestens, als die Digitaldrucke so perfekt waren, dass man damit Bücher in Kleinauflagen produzieren konnte, die qualitativ dem offsetgedruckten Buch sehr nahe kamen, war der Weg für den Engelsdorfer Verlag geebnet. Du musst wissen, dass ich seit meinem neunten Lebensjahr schreibe und – wie wahrscheinlich jeder Möchtegernautor – unzählige Ablehnungen erlebte. So wurde der Wille geboren, Autoren den Weg auf den hart umkämpften Büchermarkt zu ebnen, auch wenn sie noch so unbekannte Mauerblümchen waren oder ihr Manuskript gar ein Thema jenseits des von unseren elektronischen Medien bestimmten Mainstreams verfolgte.
Wie erlebst Du als Verleger und Schriftsteller die Buchstadt Leipzig?
Eine Messe macht noch keine Buchstadt. – Beispielgebend ist, dass in einem Wahrzeichen unserer Stadt, das wie ein aufgeklapptes Buch ausschaut, heute die Fernsehmedien sitzen. Leipzig ist zweifellos eine Medienstadt, jedoch längst keine Buchstadt mehr. Das ist aus meiner Sicht einerseits das Ergebnis der Wiedervereinigung und einer damit einhergehenden brachialen Aufräumaktion in der ostdeutschen Industrie, andererseits aber auch das Ergebnis einer weltweiten Medienkartellbildung, deren zentrale Niederlassungen nun mal nicht in Leipzig stationiert sind. Sicherlich haben wir die Buchmesse, doch – ganz argwöhnisch betrachtet – entwickelt die sich mehr und mehr zu einem kommerziellen Objekt, die sie – als tragende Säule der hiesigen Messeindustrie – wahrscheinlich auch sein muss. Jedoch ist sie einem permanenten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Denn da gibt es noch weitere große Buchmessen in Europa und mindestens eine in Deutschland. Wie schnell es gehen kann, dass ein Messeplatz für die großen zahlenden Aussteller uninteressant wird, haben bereits andere Branchen verdeutlicht. Soviel ich weiß, hat Leipzig dabei oft den Kürzeren gezogen. Es ist ja durch die Existenz der Rasenballer in aller Munde der Gegner, dieses heilige Wort der Tradition. Die Buchbranche zeigt recht deutlich, dass Tradition eine schöne, aber eben auch vergängliche Sache ist. Leipzig hat es entweder versäumt oder hatte einfach nicht die Kraft dazu, die Buchtradition zu vergegenwärtigen, sie in das digitale Zeitalter hinüberzuretten. Schlussendlich muss man jedoch auch eingestehen, dass ein realistischer Blick in die Zukunft erahnen lässt: Unser klassisches Buch, das klassische Verlagswesen und die klassische Druckereizunft hocken auf einem allmählich vertrocknenden Ast. Der Ast bricht bestimmt nicht gleich ab, doch am Stamm des gesamten Baumes wird heftig gesägt. Während „Medienstadt Leipzig“ irgendwie prima klingt, schwingt im Begriff „Buch“ bereits ein antiker Beigeschmack mit.
Immerhin gewinnt das Buchgewerbehaus gerade seinen äußeren Glanz zurück. In dem Zusammenhang: Welche Rolle spielt das Haus des Buches für Dich und Deinen Verlag?
Das Bugra-Messehaus … Nun ja, eine Immobilie, wie es unzählige im ehemaligen Graphischen Viertel gibt und gab, hinter deren Mauern einst so wahnsinnig viel Buch-Tradition zu riechen war. Soviel ich weiß, wurde vor wenigen Jahren der Versuch gestartet, darin ein Museum der Druckkunst unterzubringen, der komplett fehlschlug. Dass Museen kein Geld einbringen, wissen wir ja längst. Und was kein Geld einbringt, das steht nicht nur in den Erwerbsregeln der Ferengis, findet sehr schwer einen Platz inmitten einer pulsierenden Handelsmetropole. Ich bin 1967 geboren und erinnere mich, was besagtes Haus angeht, nur noch vage an die HO-Gaststätte – vielen als „Gutenbergkeller“ bekannt – und an das dort verspeiste Steak au four. Heute dürften die Bücher der Leute, die in die sanierten Wohnungen einziehen, wohl das Letzte sein, was an das einstige Domizil des Deutschen Buchgewerbevereins erinnert. Insofern sie Bücher lesen. Das Haus des Buches spielt für mich eine eher untergeordnete Rolle. Ich bin nicht Bestandteil des dort agierenden Personenkreises und werde es wahrscheinlich in diesem Leben nicht mehr werden. Ich habe ein-, zweimal mal dort gelesen. Mehr nicht. Zweifellos sind mein Name und die Namen meiner Autoren zu unbekannt, um sich damit schmücken zu können. Überall geht es ums Geld, das hatten wir ja bereits; dieses Verlangen macht auch um das Haus des Buches keinen Umweg. Gleiches gilt selbstverständlich für andere Institutionen – von „Leipzig liest“ bis hin zur LVZ-Kuppel. Vielleicht sind es auch einfach nur die fehlenden zwischenmenschlichen Beziehungen oder der alternative Charakter meines Verlages.
Letzte Frage: Warum sitzt der Engelsdorfer Verlag in Paunsdorf?
Der Engelsdorfer Verlag wurde tatsächlich in Engelsdorf gegründet und erhielt seinen Namen durch die Herausgabe des gleichnamigen Gemeindeboten. Allerdings zogen wir dann rüber in die Schongauerstraße ans PC, weil dort die Pausenversorgung besser war. Schlussendlich könnte man jedoch auch meinen, dass wir nach wie vor in Engelsdorf ansässig sind, denn das Gebiet des heutigen Paunsdorf-Centers gehörte vor gar nicht allzu langer Zeit noch zu Engelsdorf. Aber Engelsdorf-Center wäre wahrlich ein Zungenbrecher … Der Name sollte zudem bleiben, weil ihn viele Autoren und auch Leser mit einem positiven Nebenklang aufnehmen. Bei unseren Auftritten steht meistens „Engelsdorfer Verlag Leipzig“. Das ist der Verlag auch: Ein Leipziger. Und darauf sind wir recht stolz.