Wir bleiben beim Thema und wollen in Teil 2 möglichst alle 23 noch existierenden Leipziger Fleischergeschäfte zeigen, dazu müssen wir ein paar Mal durch die Stadt fahren, aber nach und nach klappt das schon. Zunächst jedoch haben wir dank unseres Mitstreiters Andreas und dessen Adressbuchsammlung neue alte Zahlen!
Und zwar die Zahlen von 1960, basierend auf dem Branchen-Fernsprechbuch. Für die Stadt Leipzig, die ja damals flächenmäßig um einiges kleiner war als heute (wegen der Eingemeindung des halben Landkreises um das Jahr 2000 herum) werden aufgeführt: 165 private Fleischereien, 116 HO-Fleischereien und 19 Konsum-Fleischereien.
1960 hatte der Kunde demnach die Möglichkeit, im Leipziger Stadtgebiet in 300 Verkaufsstellen Fleisch und Wurst zu erwerben. Unglaublich! Vollkommen lächerlich wirkt aber selbst diese hohe Zahl im Vergleich zur Menge der Fleischerei-Betriebe im Jahr 1943 – da waren 689 im Adressbuch verzeichnet. Allerdings hatten die damals auch etwa 715.000 potenzielle Kunden. Heute gibt es die erwähnten 23 Geschäfte – nur 1820 waren es weniger, 1821 sind immerhin 33 Fleischhauer im Adressbuch gelistet. Da fällt einem doch die Wurst vom Brot …
Herzlichen Dank für diese Ausführungen an Andreas! Einen ebenso herzlichen Dank richten wir an Marko Knaack, der uns auf Facebook eine weitere mögliche Erklärung für den Rückgang des Fleischerhandwerks in unserer Stadt lieferte: „Ursächlich ist sicherlich auch, dass die Fleischereien heute nicht mehr selber schlachten (dürfen). Sie dürfen, ja müssen, auch nur noch Ware aus den Großschlachtereien abnehmen und selber verarbeiten. Das hat wiederum seine Gründe in einer seit 2010 gültigen EU-Verordnung.“
In Teil 1 hatten wir die Haarmetzgerei in der Kolonnadenstraße erwähnt, jetzt können wir sie auch zeigen. An der rechten Tür steht: „Achtung Fleischlinge! Wir suchen einen neuen Haarmetzger!“ Woraus wir ableiten, dass das Friseurhandwerk augenblicklich besser läuft. Oder die Gastronomie! Auch das Café Fleischerei (vormals Günter Zeymer) kennt Ihr dem Namen nach aus der vorangegangenen Folge.
Zurück zu den Gründen des Niedergangs. Als wüsste sie von unseren Überlegungen, bringt die Leipziger Volkszeitung am 6. Febraur 2016 folgende Zeilen: „In Deutschland wurde noch nie so viel Fleisch erzeugt wie im vergangenen Jahr. 2015 erreichte die von den Schlachtbetrieben produzierte Fleischmenge mit 8,22 Millionen Tonnen einen neuen Rekordwert, wie das Statistische Bundesamt gestern in Wiesbaden mitteilte. (…) Die Zahl der geschlachteten Schweine stieg auf … insgesamt 59,3 Millionen Tiere. (…) Die Zahl der Schlachtrinder verringerte sich … auf ingesamt 3,5 Millionen. Daraus wurden 1,1 Milionen Tonnen Fleisch gewonnen.“ Das Geflügelfleisch wollen wir nicht unterschlagen, für 2015 meldet der zitierte Beitrag 1,52 Millionen Tonnen.
Das heißt erstens, an den Veganern liegt’s nicht, denn die haben die Fleischerzeugung bislang offensichtlich nicht gedrosselt. Und zweitens: Das sind ja unglaubliche Zahlen! Können die überhaupt stimmen? 59,3 Millionen Schweine, 3,5 Millionen Rinder – was essen wir Deutschen denn pro Kopf? Und wieso werden die althergebrachten Fleischereien trotzdem immer weniger?
Nachtrag am 04.03.2016: Die Tageszeitung Die Welt beschäftigt sich unter der Überschrift „So trifft der Primark-Schock die deutschen Innenstädte“ heute zwar mit dem bundesweiten Textileinzelhandel, bringt dabei aber ein Zitat, das ebenso auf die Fleischer in Leipzig zutrifft: „Größe verdrängt Vielfalt.“
Nachtrag am 18.03.2016: Aus der LVZ-Beilage Theke erfahren wir Neues über die Fleischerei Scheinpflug. Bernd Scheinpflug übergab die Geschäfte kürzlich an den traditionsbeladenen Franz Richter („Schon meine Groß- und Urgroßväter waren Fleischermeister, zudem bin ich Neffe von Volker Landrock“) und verabschiedete sich in die Rente. Begonnen hatte er 1988 in der Idastraße, war 1992 von dort in die Konradstraße gezogen und betrieb noch eine Filiale in der Simsonstraße (Musikviertel).
Nachtrag am 27.03.2016: Bei „Meet Beef“ am Adler gibt es Ochsenbrötchen! Davon haben wir noch nie gehört. +++ Ende August 2016 probierten wir ein solches Teil, auch Ochsenburger genannt, und waren begeistert. Tolles Fleisch, toller Laden (war aber leider im November 2016 schon wieder geschlossen)!
Nachtrag am 05.08.2016: Fleischer André Möllmer aus der Mockauer Straße präsentiert heute zwei Goldmedaillen für seine Knackwürste in der LVZ. Nebenbei erfahren wir, dass er seit 2014 Inhaber des 1901 von Otto Möllmer in der Wächterstraße gegründeten Unternehmens ist. Außerdem wird die Zahl von aktuell 108 Fleischereien im Kammerbezirk Leipzig genannt („Zur Jahrtausendwende waren es mit 204 noch fast doppelt so viele“, schreibt die LVZ). Der Kammerbezirk umfasst den ehemaligen Bezirk Leipzig ohne die einstigen Kreise Altenburg, Döbeln und Schmölln, also die Stadt Leipzig, den heutigen Landkreis Leipzig sowie den Landkreis Nordsachsen.
Nachtrag am 07.02.2017: Christian vom Hofladen Hahn schrieb uns: In Otterwisch (zwischen Großpösna und Bad Lausick) „findet Ihr einen Anbieter aus dem Leipziger Land, der sehr wohl noch selbst schlachtet“ und zwar „die eigens aufgezogenen Kühe und vor Ort gemästete Schweine“.
Nachtrag am 14.06.2017: Es gab wieder Wurstmedaillen für Frank Möllmer (65) und Sohn André (34) aus Mockau (mit Filialen in Schkeuditz und Markkleeberg). Die LVZ informiert darüber und teilt mit: „Die Fleischerfamilie bedauert …, dass in der Stadt mittlerweile kaum mehr als eine Handvoll Betriebe die Handwerkszunft ehren – sprich, noch selbst produzieren.“
Nachtrag am 03.08.2017: Die Böhlitz-Ehrenberger Fleischerei Liehr („seit 1961 in Leipzig ansässig“) hat letzte Woche ihren Laden geschlossen. Am 1. September eröffnet dort, in der Leipziger Straße, die Fleischerei Möllmer eine neue Filiale.
Nachtrag am 05.11.2017: Gestern besuchten wir die Fleischerei Reißaus (eigentlich in Gerichshain) am Ratzelbogen in Grünau und bekamen noch ein paar „Schlabberbratwürste“. Deren Reißaussche Variante hatten wir im Sommer beim Grillen kennengelernt und als sehr gut gewürzt empfunden.
Nachtrag am 14.08.2018: Heute macht die LVZ die Sache zum Titelthema! „Handwerk in der Krise: Immer weniger Bäckereien und Fleischereien in Sachsen“, lautet die Überschrift. Die Zahlen: „Gab es vor 20 Jahren noch 1600 Bäckereien in Sachsen, waren es Ende 2017 noch 1035. Die Zahl der Fleischereien ging im selben Zeitraum von 1075 auf 669 zurück.“ Supermärkte, Discounter, die Bürokratie sowie Benachteiligungen im Vergleich zu Großbetrieben seien die Gründe.
Nachtrag am 24.04.2019: Neue Zahlen zum Thema bringt die heutige LVZ. Wir lesen: „In Sachsen hat innerhalb von zehn Jahren ein Viertel der handwerklichen Bäckereien und Fleischereien geschlossen.“ Betrachtet wird der Zeitraum von 2008 bis 2018. Voriges Jahr habe es in unserem Land noch knapp 1.000 Bäcker („rund 22 Prozent weniger als 2008“) und 650 Fleischer (ein Minus von etwa 23 Prozent) gegeben. Als Gründe für den „Strukturwandel“ speziell der Bäcker werden die Konkurrenz durch Supermärkte, Back-Shops und Tankstellen genannt sowie die „zunehmende Bürokratie“. Außerdem fehle sowohl bei Bäckern als auch bei Fleischern der Nachwuchs.
Nachtrag im Herbst 2020: Wir ergänzten den Wurstautomaten der Fleischerei Möllmer (Mockauer Straße; siehe unseren Beitrag „Hefe, Mörtel, Wurst und Pizza“ vom September 2020) sowie eine aktuelle Ansicht der Fleischerei Hähnel (Zweinaundorfer Straße).
Nachtrag im Juni 2024: „Mockau wählt Möllmer“, lasen wir in der Mockauer Straße auf einem Wahlplakat, zu sehen darauf ist Fleischer Möllmer.