„Die Funkenburg, unweit von Leipzig, war nach der Sage vorzeiten eine stattliche Ritterburg. Lange verfallen, verlassen und öde, nahm endlich ein Geistervolk von ihren Mauern Besitz, trug seine Schätze dahin und wachte darüber. Niemand kehrte mehr hier ein; nur in einem Winkel der Burg wohnte ein alter Ritter, still und eingezogen, von dem man nicht wußte, ob sie ihm gehöre oder er sich hier nur angesiedelt habe.
Einst wurde ein Fürst aus Thüringen vom Unwetter genötigt, auf der Burg Zuflucht zu nehmen. Der alte Ritter empfing ihn, machte ihn aber mit den Geheimnissen des verfallenen Schlosses bekannt und riet ihm, sich anderwärts ein bequemeres Nachtlager zu suchen. Doch der Fremde schützte Müdigkeit vor und behauptete, daß er sich nicht vor Burggeistern fürchte, so daß der alte Ritter nachgab und auf ausdrückliches Verlangen seines Gastes diesem sein Lager in dem großen Burgsaale bereitete, welchen der Sage nach die Geister des Schlosses bewohnten.
Der Prinz begab sich zur Ruhe; doch beim Schlag der Mitternachtsglocke erwachte er. Er richtete sich empor. Die Lichter wearen abgebrannt und flackerten nur noch wenig, aber das helle Mondlicht fiel durch die Fensterscheiben in den Saal, und er konnte jeden Gegenstand erkennen.
Die Glockenschläge verhallten. Da erhob sich ein Wehen und Sausen, das in Gepolter überging. Beim Kamin regte es sich. Jetzt stürzten allmählich ein Bein, ein Arm, ein Kopf und Leib herab, rollten weit im Gemach umher und bildeten sich zu einer vollkommenen Menschengestalt aus, die dann im Saale umherging. Von neuem knisterte und knackerte es; unzählige menschliche Gliedmaßen polterten aus dem Kamine herab und fügten sich zu Gestalten zusammen, bis auf einmal der Saal gefüllt war. Nicht ohne Angst stand der Gast von seinem Ruhelager auf, um zu sehen, was noch kommen werde, und blickte stumm auf die wunderbaren Erscheinungen hin.
Alsbald erhob sich eine große Tafel inmitten des Gemachs, goldene Weingefäße, prachtvolle Pokale und Leuchter nebst kostbaren Gerichten erschienen in einem Augenblicke darauf, und nachdem alles geordnet war, nahete einer aus der Gesellschaft und lud den Fremden ein, an dem festlichen Mahle teilzunehmen. Mit Grauen folgte er der Einladung, ergriff den dargebotenen Becher, um zu trinken, und stellte ihn zitternd wieder auf die Tafel hin.
Das Entsetzen überlief ihn, er schlug ein Kreuz und rief den Namen Jesu, und plötzlich verlöschten die Lichter; es wurde dunkel und still im Saale, die ganze nächtliche Tafelgesellschaft war verschwunden. Bei Tagesanbruch stand aber die Festtafel noch im Saale mit allen ihren kostbaren Pokalen, Bechern und Tellern. Der Prinz erkaufte die Burg, gelangte ihn den Besitz aller Schätze der Geister und hauste lange glücklich auf der Funkenburg.“
So hielt es Dr. Paul Zinck in „Leipzigs Sagen im Spiegel seiner Geschichte“ fest, das Buch erschien 1924 im hiesigen Verlag von Hegel & Schade, die märchenhaften Illustrationen besorgte Siegfried Wille. Über die Große Funkenburg machte Zinck umfangreiche Ausführungen, denen wir uns gesondert widmen werden, die Kleine Funkenburg* nannte er „eine Großstadtkneipe wie hundert andere“ und die Funkenburgstraße „eine Großstadtstraße mit langweiligen Häuserreihen wie viele ihresgleichen“.
Wir waren gerade erst in dieser aus unserer Sicht attraktiven Straße, um Schloss-, Spuk- oder Geisterreste einzufangen – es ist uns gelungen. Der Bauschmuck kann im Sinne der Sage interpretiert werden.
* siehe unseren Beitrag „Alte Bilder I“ (Februar 2012)
Herzlichen Dank an Hans-Werner, der uns das hundert Jahre alte Buch zur Verfügung stellte!
Nachtrag im Januar 2024: Unser Mitstreiter Andreas machte uns darauf aufmerksam, dass die Funkenburg dieser Sage einst in Marienbrunn stand. Ihr Name zog mit einigem an Baumaterial erst später ins Waldstraßenviertel um. Wir schauten sofort in Zincks Buch: „Seit wann die Funkenburg zum Stelldichein der Leipziger wurde, ist nicht bekannt. Erbaut wurde sie als Vorwerk im Jahre 1559 von dem Protonotarius Wolf Seidel auf dem Boden, den ursprünglich das Paulerholz, ein Wäldchen, das vor der Einführung der Reformation dem Paulinerkoster gehört hatte, und einige dazugehörige Wiese bedeckten.
Die Steine und den Namen seines Gutes nahm er von einem anderen Gute, das im Osten Leipzigs gestanden hatte, in der Nähe der Kapelle und der Schäferei zum Heiligen Kreuz, dort wo heute der Napoleonstein sich befindet. Ein gewisser Andreas Funke hatte im 15. Jahrhundert dem Thomaskloster einen Teil des ihm gehörenden Geländes abgekauft und darauf ein stattliches Gut erbaut, das wohl auf der Höhe von Leipzig wie eine Burg thronte und deshalb vom Volke den Namen Funkenburg bekam. Schon 1501 wurde es von seinen Besitzern mit Genehmigung des Thomasklosters an den Rat der Stadt Leipzig veräußert; dieser verkaufte es aber wieder, und es hat mehrmals seinen Besitzer gewechselt, bis es der Rat abermals, und zwar im Jahre 1556, von dem Hauptmann Wolf Wiedemann käuflich erwarb. Möglicherweise standen damals nur noch die Ruinen des Vorwerks; denn es ist nicht unmöglich, daß es im Jahre 1547 bei der Belagerung Leipzigs im Schmalkaldischen Kriege mit abgebrannt ist. …
Dem Rat kam es damals nicht auf die Gebäude, sondern auf das Gelände an, weil auf diesem mehrere Quellen, besonders der Marienborn, lagen, deren Wasser er zu einer Röhrwasserleitung brauchte … Schon 1559 verkaufte er die noch vorhandenen Gebäude wieder an den schon genannten Wolf Seidel mit der Bedingung, daß er diese abtrage und wegschaffe. So verschwand die alte Funkenburg, und nur die Benennung der Funkenburgischen Felder, des Funkenburgischen Teiches und Weges blieb bis ins 19. Jahrhundert bestehen.“ Danke für den Hinweis, Andreas!
Claus Uhlrich konkretisiert die Lage der alten Funkenburg in „Marienbrunn – Aus der Geschichte eines Leipziger Wohngebietes“ wie folgt: „… das Gelände der heutigen Siedlung an der Tabaksmühle, und zwar zwischen Grimm- und Bechsteinweg“. Und er spricht von einem Gut, das der Leipziger Münzmeister Andreas Funck in der Zeit zwischen 1479 und 1494 in „weithin sichtbarer Lage auf einer damals baumlosen Anhöhe“ errichten ließ.