Schon vor gut 100 Jahren war das Radfahren eine Massenbeschäftigung. Das wussten auch die Leute von der Tageszeitung Leipziger Neueste Nachrichten und gaben 1927 ein „Großes Tourenbuch für Radfahrer (mit übersichtlicher Wegekarte)“ heraus. Bearbeitet vom Völkerschlachtgau im Bund Deutscher Radfahrer (B.D.R.) stellte es „Ausflüge für Radfahrer in Mitteldeutschland und Anschlußgebieten“ vor.
Die Bearbeiter Richard Schubert und Oskar Lehmann erwähnen im Geleitwort des Bandes ein Vorgängerbuch von 1907. Das aber sei erstens vergriffen und zweitens hätten sich die Zeitverhältnisse verändert, weshalb sie sich Ende 1925 frisch ans Werk machten und dabei von ihren 30jährigen Erfahrungen leiten ließen. „Zum Schönsten, was wir dem Leben danken“, schreiben sie, „gehört die Poesie des Wanderfahrens, die nur dem Radwanderfahrer aufgeht, wenn er nicht blind ist für all das Schöne, das uns draußen die Natur vor Augen führt“.
Ausgangspunkt all der kleineren und größeren Ausfahrten ab 20 Kilometern Länge ist der Leipziger Markt, es geht u.a. zum Bismarckturm nach Lützschena, nach Rackwitz oder Schkeuditz, aber auch in den Colditzer Forst, nach Zeitz oder zur Leuchtenburg, sogar Ziele wie der Kyffhäuser, Dresden oder Lindau am Bodensee werden angesteuert.
Wir zitieren beispielhaft aus Tour Nr. 13 Leipzig – Wurzen – Hohburger Schweiz – Eilenburg – Leipzig (82, 3 km): „Hier links und in nordöstlicher Richtung über den Breiten Berg – Aussicht! Quarzporphyrsteinbrüche – nach Lüptitz. Zeigt noch in seiner Anlage den ehemaligen sorbischen Rundling (links der kahle, zum Teil der Steinindustrie zum Opfer gefallene Spitzberg, 193 m hoch; Aussicht! – Vorsicht, da zuweilen Sprengungen erfolgen!). Nordöstlich weiter, dann durch den Wald, am bewaldeten, kleinen Berge vorüber und mit Vorsicht! hinab ins Lossatal.“
Immer wieder wird auf ebene oder wellige Straßen hingewiesen, auf Gasthöfe und Sehenswürdigkeiten, und bei Bedarf wird auch gewarnt: Hinter Rodameuschel „biegen wir rechts in die von Jena kommende Staße ein und steigen ab! Das jetzt kommende Gefälle ist schon manchem zum Verhängnis geworden“.
Äußerst interessant sind nebenbei die Anzeigen der 1927er Anbieter von Fahrrädern und fahrradnahen Dienstleistungen. Wer kennt noch Dromos, „die heimatliche Marke“? Das Dromos-Fahrradwerk befand sich in der Sebastian-Bach-Straße 39/41. Wer weiß noch, dass die Gastwirtschaft Zur Börse das „Vereinslokal des R.-V. Schwalbe v. 1899 B.D.R. Böhl-Ehrbg.“ gewesen ist, welches „für Rad-Sportler fidele Einkehr“ bot? Brauns Hotel in Torgau war gar Bundes-Hotel im B.D.R., während die Mühle Lindhardt 1.000 Räder aufbewahren konnte.
Von Belang dürfte auch das sein: „Gegenüber dem Palmengarten liegt der Sportplatz mit der Radrennbahn. Diese 500-Meter-Bahn wird von Fachleuten als die bestangelegte Radrennbahn Deutschlands bezeichnet. Alljährlich werden hier zahlreiche Rad- und Motorrad-Rennen von internationalem Ruf ausgetragen.“
Auf der letzten (Innen-)Seite des Tourenbuchs fragt übrigens die Leipziger Automobil-Gesellschaft aus der Gottschedstraße 30/32: „Warum noch Fahrrad?“ Die L-A-G preist stattdessen ihr D-Rad an, ein 500-ccm-Motorrad, wahrscheinlich für noch schnellere und weitere Touren.
Das Titelbild „Ausflüge zu Rad“ stammt von unserem Freund Peter, einem alten Leipziger Radsportler und Tourenfahrer, der uns kürzlich das Fragment eines ähnlichen Ausflugsführers (zu Fuß, zu Rad und mit der Eisenbahn) in die Hand drückte. Herzlichen Dank an ihn und dieses Mal noch mehr an Traudel, von der wir das 1927er LNN-Exemplar bekamen.