(A.H.) Laut unterschiedlicher Eigenwerbung wurde die Firma Vetter & Müller zwischen 1896 und 1899 als Senffabrik gegründet. Sie taucht im Leipziger Adressbuch 1900 das erste Mal auf, finaler Standort war das Parterre des rechten Seitengebäudes im Hof der Zeitzer Straße 35 (heute Karl-Liebknecht-Straße). Die Protagonisten des gelben Korns waren Arthur Emil Moritz Vetter und Herr Müller. Ab 1902 betrieben Vetter & Müller neben der Dampfsenffabrik auch einen Handel mit Glas- und Porzellanwaren. Der Mostrich kam wohl gut bei den Kunden an, so dass 1905 in der Lindenauer Luppenstraße 4 eine Fabrikniederlage eingerichtet wurde bzw. werden sollte. Wie lange die bestand und ob es überhaupt dazu gekommen ist, lässt sich leider nicht beantworten.
Auf jeden Fall wurde es wohl zu eng und man beschloss 1906, die Firma in die benachbarte Sidonienstraße 47 zu verlegen (heutige Paul-Gruner-Straße). Dazu mussten die Apparaturen eigentlich nur über die Mauern von einem Hof in den anderen gewuchtet werden, lagen die neuen Betriebsgebäude doch direkt gegenüber, wie auf einer Karte von 1915 zu erkennen ist.
Senfproduktion, Glasvertrieb und Porzellanhandel wurden laut den Angaben der Adressbücher bis nach 1949 beibehalten, nur die Lokalität musste erneut gewechselt werden. Grund: Die gesamte Fläche Zeitzer Straße / Ecke Sidonienstraße wurde während der Luftangriffe schwer ramponiert, so dass kein Senfkorn auf dem anderen blieb. Neben der alten Fabrik in der Zeitzer Straße waren auch die Gemäuer in der Sidonienstraße nicht mehr nutzbar – Vetter & Müller machten nun die Mölkauer richtig scharf und zogen in die dortige Stötteritzer Straße 53, später Otto-Pusch-Straße, heute Albrechtshainer Straße.
So ganz untreu wurde man der alten Lokalität vorerst aber nicht; da das benachbarte Haus Sidonienstraße 45 den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, nutzte man es bis nach 1950 als Stadtauslieferungslager der Mölkauer Produktionsstätte. Leider wurde dieses im Jahre 1949 noch voll bewohnte Gebäude samt Hinterhaus vor 1967 „entsorgt“, so dass dieser Winkel der Südvorstadt endgültig den Rang einer Mostrich-Oase verlor. Von nun an kam der „Echte Mölkauer Essig-Senf“ aus dem Osten, Vetter & Müller bewarben ihn als „etwas Besonderes“. Anfang der 1970er Jahre wurde das Unternehmen verstaatlicht, 1974 firmierte man als VEB Stadtkellerei Leipzig-Panitzsch, Betriebsteil Senffabrik Mölkau, und 1981 als VEB Stadtkellerei Leipzig, Werk IV Mölkau. 1988 stellte der VEB Stadtkellerei Leipzig zwar noch Senf her, doch die Mölkauer Adresse fehlte bereits im Branchenfernsprechbuch.
siehe auch unsere Beiträge „Matratzen aus Mölkau“ (August 2016) sowie „Essig aus Stahmeln“ (Dezember 2017)
Nachtrag im Januar 2019: Einen historischen Senfdeckel durften wir in der „Senfbude“ fotografieren. Herzlichen Dank an Roberta und Thomas! Wir lesen vor: Der Mölkauer Speisesenf, 200 Gramm für 37 Pfennige, kam aus dem VEB Stadtkellerei Leipzig-Panitzsch, Betriebsteil Senffabrik Mölkau. Heute kann man in der Senfbude übernachten oder z.B. Yoga machen (Facebook: Die Senfbude – Apartments and Workshops).
Aus dem 1973er Fernsprechbuch für den Bezirk Leipzig (S. 291) suchte Julius für uns die passenden Einträge heraus. Auch hier: Herzlichen Dank!
Stadtkellerei Leipzig-Panitzsch VEB
Engelsdorf-Ost – Sommerfelder Str. 23
Abt. Stadtkeller – Lzg 1 Neues Rathaus
Abt. Böttcherei – Engelsdorf Leipziger Str. 12
Abt. Absatz – Lzg 1 Mainzer Str. 17
Abt. Senffabrik Mölkau – Otto-Pusch-Str. 53
Werk II – Lzg Dessauer Str. 6
Ladengeschäft – Lzg 1 Markt 17
Werk III – Lzg 22 Prellerstr. 54*
Betr.-Teil Handelshof – Lzg 1 Salzgäßchen 6
Ladengesch. – Lzg 1 Markt 1
Betr.-Teil Wermut – Lzg 24 Rackwitzer Str. 13
Lager u. Garagen – Lzg 25 Mockauer Str. 79
Nachtrag im Dezember 2019: Leipziger Speisesenf! Wir haben ihn bei Edeka in Böhlitz-Ehrenberg gekauft. Er trägt das Wappen / Logo der ehemaligen Stadtkellerei auf dem Etikett und kommt heute aus Altenburg. Außerdem haben wir beim Nachgoogeln des Wappens mitbekommen, dass das einstige Werk II in der Dessauer Straße 6 jetzt als Hotel Zur alten Stadtkellerei genutzt wird, www.alte-stadtkellerei-leipzig.de.
* siehe auch unseren Beitrag „Horns Erben, Horns Fabrik“ (August 2012)