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Unterwegs im äußeren Osten

Unterwegs im äußeren Osten

In der Wurzner Straße* waren wir gerade erst, in der Zweinaundorfer** vor einiger Zeit. Jetzt führten wir beides zusammen und landeten zunächst im Stadtgut Mölkau – und kurz darauf im Deutschen Hof, den wir zeit unseres bisherigen Lebens für ein Paunsdorfer Lokal gehalten hatten. Doch offiziell befindet er sich wohl in Stünz! Wurden hier Grenzen verschoben?

Denn auch der Bahnhof Paunsdorf*** liegt auf Stünzer Flur?! Jeweils an Theodor-Heuss- und Riesaer Straße ist Schluss mit Paunsdorf, d.h. das ehemalige Rathaus sowie die Kirche schauen direkt in den Nachbarstadtteil und das von uns als Paunsdorfer Postamt angesehene auffällige Gebäude in der Riesaer Straße 26 steht gar auf der Liste der Kulturdenkmale von Sellerhausen-Stünz. (Immerhin: Man kann es für Veranstaltungen mieten****.)

Um Struktur in unsere Wunderlichkeiten zu bringen: Die Riesaer Straße ist die Fortsetzung der Wurzner. An der Paunsdorfer Kirche trifft sie auf die Theodor-Heuss-Straße (früher: Schwedenstraße), welche Richtung Süden zur Paunsdorfer Straße wird. Von der wiederum gelangt man über die Sommerfelder und die Zweinaundorfer Straße zum Stadtgut Mölkau.

Das ist das ehemalige Rittergut Zweinaundorf und heute ein Ausflugsziel mit Innen- und Außengastronomie, Spielplatz, Park und Tiergehege. Kleine (= Ziegen und Kinder) laufen hier neugierig durcheinander, Große (= Pferde und Eltern) schauen gelassen zu. Im Park staunen wir über riesige Bäume und eine goldene Vase und auf dem Gutshof über ein Rindvieh namens August der Starke (das war nun gerade ein sächsischer Herrscher, den wir gut leiden können).

Kaffee, Kuchen und Leipziger Freundlichkeit gibt es im Herrenhaus, dahinter, die blumenbestandene Treppe hinab, geht es zum Freisitz. Beides gemütlich. Sogar übernachten könnte man – und sich erzählen lassen, warum hier in den 1990ern mit viel Geld & ABM ein Ökologisches Stadtgut aufgebaut wurde (Inbetriebnahme 1998 in Anwesenheit von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit Bernhard Jagoda und des sächsischen Wirtschaftsministers Kajo Schommer!), um es dann 2002 zu privatisieren.

130 Jahre zuvor, 1872, hatte der damalige Gutsbesitzer Friedrich Wilhelm Kelbe eine Plastik, bestehend aus einem Hirsch und zwei Hunden, in seinem Park aufstellen lassen. Die verschwand Mitte der 1970er Jahre aus dem Ortsbild. „Engagierte Mölkauer Bürger schafften das völlig marode Denkmal wieder herbei, restaurierten die Gruppe und stellten sie – dem Zeitgeist entsprechend – im Oktober 1984 vor dem damaligen Kulturhaus Mölkau (heute Gasthof Zweinaundorf) auf“ (zitiert aus dem Mölkauer Gemeindeblatt vom Oktober 2003). Dort ist sie nach wie vor zu sehen.

Erklärung der Umbenennungen von Gut und Gasthof:
Zweinaundorf war jahrzehntelang Ortsteil von Mölkau und wurde gemeinsam mit diesem 1999 nach Leipzig (zwangs-)eingemeindet.

Doch zurück zum Deutschen Hof, dem Ziel unseres Ausflugs. Wir kamen von Mölkau bzw. Zweinaundorf und wollten das Lokal erstmals nach der Wende wieder besuchen – was wir auch taten. Eine freundliche Kellnerin in traditionell schwarzweißer Berufsbekleidung (wie im Café Grundmann) begrüßte uns in der seit eh und je existierenden Speisegaststätte (Speisegaststätte – wo liest man das noch?).

Aus der Nachmittagskarte, die ab 14 Uhr gilt (Nachmittagskarte – wo hat man das noch?), wählten wir Schollenfilet bzw. Zigeunersteak und wähnten uns auf einer Zeitreise zurück in die Achtziger, in denen wir schon einmal hier saßen und erste Biere tranken. Vorstädtisch, ruhig, hell, sauber, freundlich – als ob sich nichts geändert hätte. Dabei war es damals laut, verräuchert und wahrscheinlich viel weniger freundlich. Dennoch meinten wir, die Atmosphäre wiederzuerkennen und blickten beim Essen versonnen hinaus auf die alte Post von Paunsdorf oder Stünz …

* siehe unseren Beitrag „Draußen in Sellerhausen“ (Mai 2015)
** siehe unsere Beiträge „Die Zweinaundorfer I“ und „Die Zweinaundorfer II“ (September und Oktober 2013)
*** siehe unseren Beitrag „Verlassene Bahnhöfe VI“ (Januar 2013)
**** www.thepostofficeleipzig.com

Nachtrag am 28.06.2016: Aus einer Pressemitteilung des Kulturamtes von heute: „Im Auftrag des Kulturamtes der Stadt Leipzig wurde die Plastikgruppe ‚Hirsch‘ in Zweinaundorf erstmals seit ihrer Wiederaufstellung im Jahr 1984 restauriert. An der Plastikgruppe wurden offene Fugen geschlossen, durch die Wasser eindringen konnte. Anschließend wurde die gesamte Plastik gereinigt und erhielt eine Wachsversiegelung. Die Arbeiten wurden von der Bronzebildgießerei Noack aus Leipzig ausgeführt.

Im Jahr 1872 gab der Zweinaundorfer Gutsbesitzer Friedrich Wilhelm Kelbe den Guss in Auftrag. Der Zinkbleiguss geht auf ein Werk von Johann Heinrich Kureck (1821 bis 1889) aus dem Jahr 1862 zurück. Die Plastik stellt einen Hirsch und zwei ihn angreifende Jagdhunde dar. Sie stand ursprünglich auf einem kleinen Hügel am Herrenhaus. Im Jahr 1945 wurde die Plastikgruppe stark beschädigt. 1976 sollte sie verschrottet werden, konnte aber von engagierten Bürgern gerettet werden. 1984 wurde die Plastik vor dem damaligen Kulturhaus Mölkau, dem heutigen Gasthof Zweinaundorf, aufgestellt, wo sie noch heute als Mittelpunkt einer Grünanlage steht.“