Auch wenn der Name Posadowskyanlagen nur auf den hinteren Teil zutrifft, nennen wir das ganze Karree so. Anlagen klingt einfach größer. Zwischen Nerchauer und Oststraße ließen bis 1913 zwei Organisationen von zwei (bzw. drei) Architekten einen Wohnpark in zwei Abschnitten errichten. Die beiden Abschnitte harmonieren miteinander, wirken zusammen wie aus einem Guss und dürfen dennoch als abwechslungsreich in Anordnung und Gestaltung gelten. Die beiden Organisationen hießen Bauverein zur Beschaffung preiswerter Wohnungen und Baugenossenschaft Festbesoldeter in Leipzig*, die Architekten Hans Böhme sowie Th. und F. Kösser; an den Häusern sind ihre Namen vermerkt.
Laut Brandkatasterschildern** und Wikipedia bauten Böhme und Kössers bzw. die Vorgängervereine der heutigen Baugenossenschaft Leipzig ihre gelungenen Ensembles auf Anger-Crottendorfer Terrain. Laut leipzig.de zählen die Posadowskyanlagen und ihre nähere Umgebung allerdings nunmehr zu Reudnitz-Thonberg. Benannt worden sie nach Arthur Adolf Graf von Posadowsky-Wehner (1845-1932), einem ranghohen Politiker, der sich im deutschen Kaiserreich dank sozialpolitischer Kompromissbereitschaft Sympathien im Volke erwarb***.
Die Festbesoldeten wollten ihn vor 111 Jahren mit einem Graf-Posadowsky-Platz ehren, die Stadt verwies auf ihre Regelung, keine Namensgebung nach lebenden Personen zuzulassen. Schließlich fand man einen Kompromiss und einigte sich auf Anlagen, um die gebräuchlichen Bezeichnungen Straße und Platz zu vermeiden.
Der aktuellen Beschilderung vor Ort zufolge scheint Wohnungsgigant Vonovia Posadowsky übernommen zu haben, was schade ist, da hier seitdem der genossenschaftliche Gedanke nicht mehr zählen dürfte. Trotzdem, rein städtebaulich und architektonisch gefallen uns die Häuser. Sie wirken gleichzeitig stattlich und gemütlich, obwohl sie einst – mit voller Absicht – preiswert gewesen sind.
Dagegen sieht der sicherlich teure Eigentumswohnungen beinhaltende Doppelneubau in der Hofer Straße wie eine Mischung aus Studentenwohnheim und Gefängnis aus. Gut, nicht ganz, mit den wellenartigen Balkons im Innenhof wurde etwas positiv Eigenwilliges umgesetzt. Ansonsten sehen wir jedoch die derzeit üblichen Quader. Die Eskaladierwände rund um die Wohnungen im Erdgeschoss und auch die Gittertore zum Innenhof verstehen wir zwar, aber schön finden wir sie nicht.
Die unmittelbar anschließenden Meyerschen Häuser in der Hofer Straße (erbaut 1903-08) präsentieren sich als beeindruckende offene Anlage mit Toren und Türmen, mit Grünflächen, Wäscheplätzen und Minigärten. Sogar Gemeinschaftsräume – wir vermuten, dass es die mit den großen Fenstern sind – hat es hier gegeben. Vielleicht werden sie immer noch gemeinschaftlich genutzt? Neu für uns war der Meyerstein: „Zur Erinnerung an Herrn Herrmann Julius Meyer / Dem hochherzigen Gründer der Stiftung für Erbauung billiger Wohnungen gewidmet von den dankbaren Bewohnern der Kolonie Reudnitz“. Die Stiftung gibt es noch!
* siehe das Buch „Gemeinsam bauen, sicher wohnen – 100 Jahre Baugenossenschaft Leipzig eG“ (1998)
** siehe unsere Beiträge „Alte Schilder in Neustadt“ (März 2016) und „Noch mehr blaue Schilder I und II“ (April bzw. Mai 2016)
*** siehe die Straßennamenerklärung auf leipzig.de und den Posadowsky-Eintrag auf deutsche-biographie.de
Nachtrag am 02.06.2024: Sabine schreibt zu den von uns angesprochenen Gemeinschaftsräumen: „… wenn das die Rückseite des Hauses 32 a ist … da war so 1976-1980 rum der Hort unserer 27. POS, später dann so um 1982 rum (meine Schwester ist 1979 geb.) war da ein Kindergarten. Alles immer in der ersten oder zweiten Etage. Unten im Keller war eine Wäscherolle. Das betrifft alles die Hofer Straße 32 a und ja, das sind bzw, waren Gemeinschaftsräume. Was da nun vor 1973 und dann nach 1985 drinnen war, weiß ich nicht. Ich habe von 1973-1985 in der Hofer Straße 6 gewohnt, die nicht zu den Mayerschen Häusern gehört, ich kenne den Hof zumindest damals sehr gut – hab da oft gespielt.“ Danke!!!