Ausdauerndes Bloggen wird immer wieder mit interessanten Kontakten und unerwarteten Einblicken belohnt. Vor wenigen Tagen bekamen wir elektronische Post aus London, geschrieben hatte Anders Beyer, ein „schwedischer Halb-Bayer“ mit familiärer Bindung in unsere Stadt. Sein Urur- und sein Urgroßvater, Paul Hermann Beyer und Carl Otto Beyer, hatten hier am 1. Juli 1897 die Kunsthandlung P.H. Beyer & Sohn etabliert. Urgroßvater Carl Otto und Urgroßmutter Elsa Beyer zählten zudem zu den Mitbegründern der Bugra.
Die Kunsthandlung Beyer, eine „Ständige Ausstellung für Kunst und Kunstgewerbe“, residierte bis zu ihrem Ende im Zweiten Weltkrieg unter folgenden Adressen: 1900-13 in der Schulstraße 8 (Architekt Tscharmann; heute Ratsfreischulstraße), 1913-31 am Thomas-, später Dittrichring 22 (Leipziger Feuerversicherungs-Anstalt, damals eben erbaut, später „Runde Ecke“), 1931-37 am Dittrichring 16 (2. Stock) und schließlich 1937-43 im Märchenhaus in der Thomasiusstraße 28.
Das Märchenhaus wurde am 4. Dezember 1943 durch einen Bombenangriff zerstört. Im Zusammenhang damit notierte Carl Otto Beyer über das markante Gebäude in seinem Tagebuch u.a.: „Nach aussen hin machte das Haus einen massigen und soliden Eindruck, aber innen war es sehr leicht gebaut, die Decken nur Holz, so dass man jeden Schritt der Ueberwohner wie in der eigenen Wohnung hörte. Der Besitzer, Architekt R. Brachmann hatte mehr auf äusserliche Wirkung, als auf innere Gediegenheit gesehen.“
In Teil 3 kommen wir auf das Märchenhaus zurück, werfen jetzt aber einen Blick in Beyers Bugra-Erinnerungen: „Das Jahr 1914 war für uns in geschäftlicher Beziehung ein Höhepunkt. … In das … Jahr fielen die Vorbereitungen für die Bugra, die grosse Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, auch für mich von besonderer Bedeutung, da sowohl ich, wie meine Frau in den vorbereitenden Ausschüssen tätig waren. Mir wurde die Geschäftsführung für einen Hauptteil, die Ausstellung der internationalen Schau der zeitgenössischen Original-Graphik und Buchillustration übertragen.
Die im Frühjahr 1914 eröffnete Ausstellung hatte einen grossen Erfolg; von Anfang an kamen Interessenten aus aller Welt; der Verkauf liess sich gut an; da warf die Ermordung des österreich. Thronfolgers u. seiner Frau in Sarajewo schwarze Schatten über das so glänzend eingeleitete Unternehmen, und nach der Erklärung des Krieges mit Serbien verödete die einzig schöne Ausstellung … Leiter und spiritus Rector der Bugra war Geh.Rat Dr. (Ludwig) Volkmann i. Fa Breitkopf u. Härtel …
Würde die Ausstellung unter normalen Verhältnissen durchzuführen gewesen sein, so hätten sich sehr grosse Vorteile für meine Firma ergeben haben, da ich dann Verbindung mit den wesentlichen Graphiksammlern der Welt bekommen hätte. So aber machte der Weltkrieg einen dicken Strich durch die Rechnung, wie der zweite 1943 in grösserem Ausmass durch die gänzliche Vernichtung meines Geschäfts am 4.12.43 durch Luftangriff.“
Carl Otto Beyers Schilderungen sowohl zur Premiere der Bugra als auch zum Ende des Märchenhauses stammen von einem direkten Beteiligten und sind bildhaft und umfangreich. Wir lesen in ihnen z.B. von Klinger, Klimt und Munch, von konkurrierenden Künstlergruppen (dem Künstlerbund und der Kunstgenossenschaft) sowie von Sachsens König Friedrich August III.. Anders Beyer stellte uns diese Dokumente dankenswerterweise zur Verfügung – Erinnerungen, Tagebucheinträge und Bilder.
Anders Beyer, der über den Beitrag „100 Jahre Bugra“ (September 2013) zu uns fand, verriet auf Nachfrage über sich: „Mein Großvater Walther Beyer, Bildhauer und Grafiker, ist 1902 in Leipzig geboren, aber in den 20er Jahren siedelte er nach München um und heiratete da eine Dame aus Wien. Mein Vater Martin wurde 1929 in München geboren, 1937 siedelte die Familie nach Schweden um. Meine Mutter kam mit ihrer Schwester und ihren Eltern 1944 aus Estland nach Schweden. Ich bin also eine Mischung aus Sächsisch, Wienerisch, Bayrisch und Estnisch, betrachte mich aber als schwedischen Halb-Bayer.“
Zur Welt gekommen ist Anders Beyer 1958 in Stockholm, aufgewachsen 25 Kilometer nordwestlich der schwedischen Hauptstadt. Seit 1994 wiederum wohnt der beruflich als Drucker Tätige in London, von wo aus er uns auch schrieb. Einmal nur weilte Anders Beyer bislang in Leipzig, „um mit meinen Eltern Familienforschung“ zu betreiben. „Ich würde gerne, sobald man wieder reisen kann, erneut nach Leipzig kommen“, sagt er. Wir freuen uns darauf!
wird fortgesetzt