Als wir im Internet einer alten Postkarte mit dem Schriftzug Sächsisches Tageblatt angesichtig wurden, befiel uns die Haben-Wollen-Krankheit. Nach einer Heilung durch Kauf befindet sich das Dokument in unserer Hand und stärkt die Erinnerung an das Organ der Blockpartei LDPD, welches seinen Leipziger Sitz am Neumarkt hatte. Wenn man unten hineinspazierte, konnte man da zum Beispiel Anzeigen aufgeben. Zu DDR-Zeiten existierten weitere Tageszeitungen für die Messestadt Leipzig und den zugehörigen Bezirk mit seinen 13 Kreisen Leipzig-Stadt und –Land, Delitzsch, Eilenburg, Torgau, Borna, Wurzen, Grimma, Oschatz, Altenburg, Schmölln, Geithain und Döbeln.
Das waren Die Union (CDU) mit Räumlichkeiten in der Pfaffendorfer bzw. damals Dr.-Kurt-Fischer-Straße, die Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten (NDPD), beheimatet im Eckgebäude Jahnallee / Thomasiusstraße, und die Leipziger Volkszeitung (SED), deren Lokalredaktion eine Etage in der Riemannstraße 54 belegte, ansonsten lautete die Adresse wie heute: Peterssteinweg. Der Leipziger Teil der Nachrichtenagentur ADN war in der Schulstraße (heißt mittlerweile Ratsfreischulstraße) zu Hause und versorgte die genannten Blätter von dort aus zusätzlich mit Beiträgen.
Eine Tageszeitung kostete in den 1980er Jahren zehn bis 15 Pfennig pro Ausgabe, man konnte also, ohne arm zu werden, alle kaufen, außerdem die überregionalen Blätter Bauernecho (DBD), Tribüne (FDGB), Junge Welt (FDJ) oder aber das Sportecho (DTSB) und hatte circa eine Mark ausgegeben.
Zeitungsläden und -kioske* befanden sich an vielen Straßenbahnhaltestellen, in Bahnhöfen und auch mitten in der Stadt. Während der Frühjahrs- und Herbstmessen wurden darüber hinaus westdeutsche Tageszeitungen verkauft, unter anderem neben der Universitätsbuchhandlung in der Grimmaischen Straße, allerdings nicht an unberechtigte DDR-Bürger. Immerhin hatte man in diesen beiden Wochen die Möglichkeit, in der Süddeutschen oder der Frankfurter Allgemeinen zu blättern und zu lesen.
Um den Kreis zu schließen (was Leute wie wir gerne tun), vergessen wir auch die Gaststätte Journalistenklub** nicht, zu der hatten die Mitarbeiter des Sächsischen Tageblatts den kürzesten Weg, denn sie befand sich ebenfalls am Neumarkt, in der Hausnummer 26.
* siehe unseren Beitrag „Die Letzten ihrer Art“ (Januar 2014)
** ab 02.09.2017 befindet sich in dessen Räumen, die über Jahre einen Asia-Imbiss inkl. Ladens über drei Etagen beherbergten, das Schweizer Spezialitätenrestaurant Swiss Break
Aus der Chronik der Stadt Leipzig für 1990 (zu finden auf leipzig.de): „19.01.: Die Leipziger Volkszeitung erscheint als unabhängige Tageszeitung. Redaktion und Verlag haben sich von ihrem bisherigen Herausgeber, der SED, getrennt. / 01.07.: Aus wirtschaftlichen Gründen wird die Zeitung Mitteldeutsche Neueste Nachrichten eingestellt.“
Aus der Chronik der Stadt Leipzig für 1992 (zu finden auf leipzig.de): „31.01.: Die Hallenser ehemalige CDU-Zeitung Neuer Weg und ihre Leipziger Ausgabe Die Union stellen überraschend ihr Erscheinen ein. Den 123 Redakteuren und Mitarbeitern ist dies am 30. Januar mitgeteilt worden.“
Nachtrag im September 2021: „Hieß das Sächsische Tageblatt nach der Wende Leipziger Tageblatt?“, fragten wir auf Facebook, nachdem wir in Bachmanns Buchhandlung im Alten Rathaus eine entsprechende Wechselgeldschale gesehen und fotografiert hatten. Lothar antwortete: „Ja, leider an Springer verkauft, von denen wenig investiert und nach einem knappen Jahr aus taktischen Gründen eingestampft.“ Danke!
Nachtrag im November 2023: Die AZet war uns kein Begriff, in einem 1970er LVZ-Beitrag aller Leipziger Lokalredaktionen taucht ihr Logo auf. Wikipedia kennt sie („Azet (Tageszeitung)“) und weiß: „Sie war ein Abendblatt und erschien vom 1. März 1965 bis zum 30. September 1975 in Leipzig und Halle.“ Nach einem Post auf Facebook schrieben uns u.a. Andreas („Ich kann mich noch an die Straßenverkäufer der Zeitung erinnern, die an Haltestellen und vor manchen Geschäften immer laut rufend ‚Die neue AZet hier!‘ anpriesen.“) und Frank („Wurde auf der Straße verkauft, in der Innenstadt kamen die Verkäufer auch in die Gaststätten zum Verkaufen.“) sowie Maik, der uns sogar zwei passende Fotos mailte („… habe vor einiger Zeit ein paar Exemplare in einem alten Keller gefunden, und das in einer, für das Alter, relativ guten Qualität“). Herzlichen Dank!